Trauer und Verlust – wenn das Leben stillsteht und doch weitergeht

Verluste begegnen jedem Menschen im Laufe des Lebens, diese Tatsache ist unumstößlich. Und mit ihnen einher kann auch Trauer unseren Weg kreuzen. Über diese gesprochen wird zugleich oft nur wenig, sie scheint ein Tabuthema in unserer Gesellschaft zu sein. Steht doch schon auf Kondolenzkarten „in stiller Trauer“, als dürfe man sie nicht sehen oder hören. Brechen wir also in diesem Blogbeitrag das Tabu.

Was bedeutet Trauer?

Trauer ist eine natürliche Reaktion auf einen erlebten Verlust. Sie wird also als Bewältigungsreaktion definiert und äußert sich auf verschiedenen Ebenen.

  1. Emotional
  2. Somatisch
  3. Verhalten

Nicht nur interindividuell, sondern auch kulturell existieren große Unterschiede, wenn es um Trauer und den Umgang mit ihr geht. Die Dauer des Trauerprozesses, dessen Intensität und auch die Qualität können deutlich voneinander abweichen.

Auch wenn Verlust und Trauer häufig in Verbindung mit dem Versterben einer Person in Verbindung gebracht werden, können Trauerreaktionen auch aufgrund ganz anderer Verluste entstehen. Gesundheitliche Aspekte, die sich verändern bspw., Ziele, die nicht (mehr) erreicht werden können oder auch der Verlust von Objekten gehören ebenfalls zu Situationen, in denen Trauer entstehen kann.

Trauern wir in Phasen?

Vielleicht hast Du schon mal vom Phasenmodell der Trauer gehört, welches von Elisabeth Kübler-Ross 1969 entwickelt wurde. Hier werden die Phasen 1) Leugnen 2) Zorn 3) Verhandeln 4) Depression und 5) Akzeptanz beschrieben. Bis heute halten sich solche Modelle über Trauerprozesse hartnäckig, aber Achtung…

… Aus heutiger wissenschaftlicher Sicht, sind sie nicht mehr haltbar und ihre starren Perspektiven auf den Prozess der Trauer eher kritisch zu betrachten.

Trauer verläuft deutlich individueller und nicht nach Schema F. Phasen können sich nicht nur in ihrer Reihenfolge unterscheiden, manche tauchen bei einer Person vielleicht auch gar nicht auf oder wiederholen sich immer wieder.

Kleine aber wichtige Sidenote noch zu dem Modell von Kübler-Ross:

Es wurde zunächst im Kontext des Sterbens entwickelt, nicht bezogen auf die Trauer der Hinterbliebenen.

Mittlerweile existieren deutlich flexiblere und empirisch abgesichertere Modelle von Trauerprozessen bspw. von…

…  Stroebe und Schut das Dual Process Model

  • Menschen wechseln zwischen den Orientierungen Verlust und Wiederherstellung
    -> Verlust ist dabei verknüpft mit Trauer, Sehnsucht und Schmerz, wohingegen der Prozess der Wiederherstellung mit einer Anpassung an neue Rollen, Aufgaben und einer neuen Lebensgestaltung einhergeht.

… Neimeyer und Meaning Reconstruction Approach

  • Fokus auf Sinnerleben des Verlusts und Anpassung des Selbst- und Weltbilds

… Bonanno und das Attachment Theory- basierte Modell

  • Individuelle Unterschiede, Resilienz und die Rolle von Bindungsmustern werden betont

Also: Phasenmodelle von Trauerprozessen sind mittlerweile überholt. Dynamische, individuelle und kulturell geprägte Prozesse entsprechen einem realistischen und empirischeren Bild.

Trauer in verschiedenen Kulturen

In der islamischen Kultur findet Trauer eher als kollektives Gedenken statt. Zugleich ist der Trauerprozess durch klare religiöse Regeln teils stark normiert. Ausdrücke von Trauer gehören dazu, wenngleich exzessives Klagen nicht die Regel darstellt.

Auch im ostasiatischen Kulturraum ist Trauer eher familiär und sozial eingebunden. Emotionen werden oft deutlich kontrolliert gezeigt.

Trauer als öffentlicher Teil des Lebens mit intensivem Klagen, Weinen und Singen findet sich eher im afrikanischen Kulturraum. Dies erfüllt unter anderem eine gemeinschaftliche Funktion und stärkt soziale Bindungen.

In unserer westlichen Kultur ist Trauer eher von Individualismus geprägt. Jede Person trauert mehr oder weniger für sich und der Prozess wird eher allein durchgearbeitet.

Aber warum ist Trauer bei uns so ein Tabuthema?

Das hat verschiedene Ursachen.

  1. Individualisierung und Privat
    Wie gerade bereits angeschnitten, versteht unsere westliche Kultur Trauer mehr als einen Zustand des individuellen inneren Erlebens und weniger als eine Aufgabe, welche in Gemeinschaft gemeistert wird. Zudem wird der Prozess des Sterbens und damit auch der Tod von Menschen aus dem Alltag ausgelagert. Hospize, Krankhäuser und Pflegeheime übernehmen häufig die Begleitung, wodurch letztlich auch Trauer weniger sichtbar ist und aus dem öffentlichen Raum verschwindet.
  1. Leistungsgesellschaft und Zeitdruck
    Hast Du schon mal geschaut wie viele arbeitsrechtlich verankerte Trauertage Die zustehen, wenn eine vom reinen Verwandtschaftsgrad nahestehende Person versterben würde? Spoiler: 1-2 Tage sind es idR, was bedeutet, dass es schnell wieder ums Funktionieren geht. Länger anhaltende Trauer (wobei die Frage wäre, wie man „länger“ überhaupt definiert und was dann eine als normativ zu bewertende Zeitspanne für Trauer wäre) wird zudem noch oft als krank beurteilt.
  1. Endlichkeit
    Verlust erinnert an die Endlichkeit der Dinge und das ist etwas, was in der westlichen Kultur ungern zum Thema gemacht wird. Viel eher ist Positivität erwünscht, es geht oft noch immer darum „stark“ zu sein und keine Verletzlichkeit zu zeigen. So wird Trauer häufig als unangenehm oder störend wahrgenommen.
  1. Soziale Unsicherheit
    All das kann letztlich auch dazu führen, dass Unsicherheiten im Umgang mit Trauernden bestehen. Statt Trost zu spenden wird eher ausgewichen und vermieden und es fehlen die Worte. Trauer führt dadurch im schlimmsten Fall zu Isolation von Trauernden und damit auch zu dem Empfinde, dass Trauer kein Thema ist, über das gesprochen werden kann.

Umgang mit Trauer – eine Idee

Wie kann nun aber der Umgang mit Trauer gelingen?

Zunächst einmal: Trauer ist individuell. Es gibt nicht den einen richtigen Weg und Umgang damit und genauso wenig die eine Zeitspanne, in der „fertig“ getrauert sein muss. Und vielleicht ist das schon der Kern der ganzen Sache.

Sich Trauer zu erlauben und sie überhaupt zu fühlen, um dann schauen zu können, was es ganz individuell braucht. Das kann ein Abschiedsritual sein, schreiben oder malen, Zeit in der Natur, Gesellschaft von lieben Menschen, mal in Erinnerungen eintauchen und mal Ablenkung, …

Wir sprechen bei Erste Hilfe für die Psyche oft davon, dass Reden hilft und Zuhören auch. Dieser Satz passt auch für Trauer. Denn niemand muss alleine durch einen schmerzhaften Prozess gehen. Unterstützung zu haben, entweder privat oder auch professionell, kann wertvoll sein.

Und wenn jemand in Deinem Umfeld trauert, sei da, ohne Floskeln, ohne Bagatellisierung und weg-machen-wollen. Frag was die Person gerade braucht und wenn sie das gerade nicht beantworten dann, dann sei einfach präsent. Lass Raum für das, was dieser Mensch gerade fühlt, das ist manchmal schon ganz ganz viel wert.

Insight Lisa

Viele Jahre begleitete mich Trauer über den Verlust eines Menschen und auch wenn sie nicht täglich präsent war, so tauchte sie doch immer wieder auf und manchmal riss sie mich fast für einen Augenblick von den Füßen.

An einem Sommertag sprach ich in der Therapie wieder über diesen Verlust und meine Therapeutin schlug ein Abschiedsritual vor. Da ich schon immer gern schrieb, entschied ich mich für einen Abschiedsbrief. In diesem sollte alles Platz finden, was ich diesem Menschen nicht mehr hatte sagen können.

Ich fuhr nach Hause, schrieb den Brief und während dessen entstand Stück für Stück die Vorstellung, wie ich ein ganz eigenes Abschiedsritual gestalten könnte.

Ich faltete den Brief zu einem kleinen Boot, nahm eine Blüte von einem Blumenstrauß, den ich gerade zu Hause hatte, mit und fuhr an einen Fluss in der Nähe. Während ich dort entlang spazierte entdeckte ich zwei Federn. Eine größere und eine kleinere und es fühlte sich richtig an, diese auch noch mitzunehmen. Mit bewusst melancholischer Musik auf den Ohren ging ich zu der Stelle, die ich mir zuvor überlegt hatte. Ich dachte noch einmal ganz bewusst an all das, was gerade da war, ließ Gedanken und Gefühle zu, weinte und fühlte.

Dann legte ich die Blüte und die beiden Federn in das kleine Papierboot und lies es ins Wasser gleiten. Langsam wurde es davongetragen und ich schaute ihm noch lange nach.

Die Trauer war damit nicht beendet, sie blieb noch viele Wochen und Monate und zugleich war dieses Ritual ein Teil des Prozesses.

Quellen:

Bonanno, G. A. (2009). The Other Side of Sadness

Eisenbruch, (1984). Cross-cultural aspects of bereavement. II: Ethnic and cultural variations

Kübler-Ross, E. (1969). On Death and Dying

Neimeyer, R. A. (2001). Meaning reconstruction and the experience of loss

Stroebe, M., & Schut, H. (1999). The dual process model of coping with bereavement: Rationale and description

Stroebe, M., & Schut, H. (2010). The Dual Process Model of Coping with Bereavement: A decade on

Stroebe, M., Schut, H., & Boerner, K. (2017). Cautioning health-care professionals: Bereaved persons are misguided through the stages of grief

https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/trauer-trauern

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